Kippfehler 1. Ordnung beim Messen mit der Schieblehre

Der deutsche Wissenschaftler und Unternehmer Ernst Abbe formulierte im 19. Jahrhundert sein Komparatorprinzip, nach dem mechanische Messinstrumente die größte Genauigkeit erreichen, wenn gemessene Länge und Messskala auf einer Linie liegen. Die Funktionsweise einer Schieblehre widerspricht diesem Grundsatz, weil Messgegenstand und Maßverkörperung seitlich versetzt sind. Ferner muss berücksichtigt werden, dass der verschiebbare Messschenkel ein minimales Spiel auf der Schiene haben muss, damit er seine Beweglichkeit erhält. Aus diesen Bedingungen folgert die technische Unvermeidbarkeit von Kippfehlern 1. Ordnung. Nur der Anwender kann durch den richtigen Umgang mit der Schieblehre diese Fehler minimieren. Die Abbildung veranschaulicht den Kippfehler, von dem grundsätzlich alle Arten von analogen und digitalen Schieblehren betroffen sind.

Einfluss der Kippfehler auf das Messergebnis

Wie bereits an im Artikel über das Messen mit der Schieblehre erwähnt, ist die Dosierung der Betätigungskraft FB, also die Kraft, mit der die Schieblehre um das Messobjekt geschlossen wird, entscheidend. Es gilt: FB = FR + FM

Wärend des Messens auftretende Kräfte an der Schieblehre

Es gibt noch eine Reihe weiterer Maßnahmen zur Vermeidung von Kippfehlern. Sie beginnen mit der Wahl der richtigen Schenkellänge. Gerade bei Schieblehren, die hauptsächlich an den Spitzen benutzt werden, z. B. Innennut-Messschiebern, sollte sie so kurz wie möglich sein. Bei Messungen mit den Flächen der Messschenkel hält man den Abstand zwischen Prüfgegenstand und Schiene minimal. Der kürzere Hebel verringert die negative Auswirkung der Messkraft FM auf das Messergebnis. Nicht zuletzt hat auch die Beweglichkeit des Schiebers einen Einfluss auf die Genauigkeit. Verunreinigungen oder Beschädigungen der Schiene erhöhen den Reibungswiderstand FR und verringern damit das Gefühl des Anwenders für den richtigen Kraftaufwand und Sitz. Das begünstigt nicht nur Kippfehler 1. Ordnung, sondern auch Kippfehler 2. Ordnung.

Von Kippfehler 2. Ordnung wird gesprochen, wenn Prüfobjekt und Messschieber zueinander gekippt sind. Diese Art von Kippfehlern tritt vor allen bei Innenmessungen auf, da hier die Messflächen keine sind und die korrekte Anlage der Messflächen an den Prüfling optisch nicht kontrolliert werden kann. In der Praxis führt man mehrerer Messungen durch. Da die Kippung der Messflächen in einem zu kleinen Messergebnis resultiert, kann der größte gemessen Wert als valide angenommen werden. Bei der Außenmessung ist dies hingegen genau umgekehrt.